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Dr. Peter Funken zu den Bildern, welche in der Ausstellung „Unsichtbare Übernahme“ in der Asperger Gallery gezeigt wurden

Relative Verunsicherung – Anmerkungen zur Malerei von Katharina Wagner

Es sind immer quadratische Bilder und zudem Bilder im stets gleichen Querformat, die Katharina Wagner in ihrer Malerei herstellt. Mit dem Quadrat, das Wagner im Maß 60 x 60 cm verwendet, zitiert die Künstlerin das Format des Polaroidfotos wie auch jenes der Lang- spielplatte. Mit dem quadratischen Standard bezieht sie sich somit auf technische Vorbilder und Medien, die seit dem 20. Jahrhundert bekannt sind. Die Einzelbilder ihrer umfangreichen quadratischen Serie fügt Katharina Wagner manchmal zu komplexen Tableaus, die dann wiederum ein großes Quadrat bilden können. Das in der Geschichte der Malerei eher unübliche Quadrat besitzt – so formuliert es die Künstlerin – etwas scheinbar Objektives und dies korrespondiere mit ihrer Vorstellung von Malerei, die im Gegensatz dazu von äußerster Subjektivität geprägt sein solle.

Malerei, insbesondere jene, die seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde, ist eine Kunst, die zu den Bedingungen der technischen Medien entsteht. Waren die Vorlagen für viele Maler bislang vor allem der Fotografie, dem Film oder dem TV entnommen, so wird die Malerei Katharina Wagners nunmehr von dem neuesten und modernsten Bildmedium inspiriert – gemeint ist das Internet mit seiner gigantischen öffentlichen Plattform YouTube, also einer Medienentwicklung, die dem 21. Jahrhundert angehört. Tatsächlich stammen alle Anregungen und Vorbilder für Katharina Wagners Bildwelt aus den immensen Filmarchiven des Internet, die täglich wachsen und sich weiter entwickeln. Bei ihren Recherchen im Netz interessieren die Künstlerin jedoch nur Einzelbilder oder Stills. Es geht ihr nicht um die Filminhalte, sondern um spezielle Aufnahmen, auf die sie emotional reagiert, dies – wie sie sagt – geradezu reflexhaft.

In Hinblick auf ihre Malerei sind die von ihr favorisierten Stills jedoch nur Auslöser, denn in den fertigen Arbeiten erkennt man von den Vorlagen fast immer zu wenig, um exakte Aussagen über das ursprüngliche Film- und Bildgeschehen machen zu können. Da ist etwa eine Arbeit mit einer runden, hellbraunen Form, die an einen Kopf erinnert; eine plastisch gestaltete, weißgraue Diagonale schiebt sich in deren Zentrum. Die Vorlage von YouTube zeigte ein Baby mit einer seltenen Krankheit, das aus einem Fläschchen trinkt. Katharina Wagners Malerei vermeidet bewusst die präzise Darstellung des Kopfes, sodass man als Betrachter nicht eindeutig entscheiden kann, ob es sich bei der Darstellung um eine menschliche Figur handelt oder etwa um eine Landschaft. Die horizontal strukturierte Komposition erlaubt beide Sehweisen und noch andere. Sie legt nichts eindeutig fest, sie lässt Raum für eigene Deutungen, die sich schlussendlich jedoch vor allem als Projektionen erweisen. Dies liegt in der Absicht der Künstlerin, denn sie will eine offene Form der Malerei her- stellen, eine Kunst, die im Prozess einer rapiden und zupackenden Herstellung funktioniert. Wagner bildet nicht ab, sondern sie eröffnet mit ihrer Malerei neue Dimensionen der Darstellung und der Kommunikation. In Hinblick auf eine Deutung des Bildgeschehens entstehen aufgrund eines solchen Konzepts unklare Situationen, also Irritationen, die gewollt sind: Eine dargestellte Hand bewegt ein Instrument, doch ist nicht bestimmbar, ob hier die Hand eines Chirurgen gezeigt wird oder jene eines Gärtners oder Bildhauers.

Um solche Mehrdeutigkeit zu erzielen, löst sich die Künstlerin bei der Bildherstellung rasch von der konkreten Bildvorlage, die sie nach schnellem Skizzieren auf der Leinwand zur Seite legt, um dann im Vorgang der Ölmalerei ihre subjektive Gestaltung zu erzie- len. Wenn dies nicht auf Anhieb im ersten Wurf gelingt, verwirft Katharina Wagner die Arbeit, um es später von neuem zu versuchen. Die Künstlerin malt alla prima, sie mischt die flüssige Ölfarbe auf der Leinwand, sie formuliert in schnellen Bewegungen Konturen, zeichnet mit Farben Linien oder schafft Plastizität. Die Bildherstellung – so ist erkennbar – ereignet sich rapide, sie ist Ausdruck eines spontanen Zugriffs, der jedoch aufgrund des Malkonzepts auch berechnet und inszeniert ist.

Befreit von der Deutlichkeit der Vorlagen, ereignet sich in Katharina Wagners Malerei ein subjektiver Dialog zwischen der Künstlerin und den Mitteln und Methoden ihrer Kunst. Resultat ist eine Malerei der relativen Verunsicherung, wie auch die Darlegung eines unmittel- baren ästhetischen Prozesses, der sich von seinen Vorbildern emanzipiert und in Spontanität und Eigentlichkeit zu sich selbst kommt.

In den so entstandenen Werken vermeidet Katharina Wagner die allzu genaue Wiedergabe der Vorlage, auch um mit solcher Verunklärung einen kommunikativen Prozess zwischen Betrachtern und Kunstwerk zu bewirken. Die Künstlerin rückt dabei bewusst die Kompositionen ihrer Bilder aus einer allzu leicht begreifbaren Harmonie, bei der man Stabilität und Ruhe assoziiert, in eine dynamische Instabilität, die vom Betrachter im Sinne von Unmittelbarkeit, konfrontativer Direktheit und sogar Schärfe begriffen wird. Eine solche Zuspitzung in der Bildwirklichkeit entspricht Katharina Wagners Wahrnehmung von Realität, die sie in ihrer Kunst beschreibt und mit den Möglichkeiten ihres Konzepts vermittelt. Dazu gehört auch, dass die Künstlerin zuweilen mit nur kleinen Eingriffen, etwa einer Unruhe stiftenden, fahrig gesetzten Linie oder einer instabilen Farbform, Irritation und Ungewissheit erzeugt, die wahrnehmbar und erlebbar ist. Mit solch bildimmanenten Irritationen stellen sich Fragen nach der Realität und der inhaltlichen Konsistenz des Dargestellten, die nicht – zumindest nicht allein aus dem Bildinhalt – zu beantworten sind.

Auch ohne Kenntnis der Vorlagen aus dem Netz gewinnt man den Eindruck, dass dieser Malerei etwas unterschwellig Gewalttätiges anhaftet, dass hier anscheinend Körpereingriffe dargestellt sind, dass oft etwas Gefahrvolles stattfindet oder sich ankündigt. Wie bereits gesagt, handelt es sich bei solchen Vermutungen letztlich um Spekulationen auf Bildinhalte, die sich nicht bis ins exakt benennen und erklären lassen, doch gerade das Vage, das sich in diesen Bildern zeigt, bewirkt den Eindruck relativer Verunsicherung. Dies geschieht in Katharina Wagners Malerei geradezu subkutan und wie bei einem schleichenden Gift.

Solche Malerei ist eine Kunst zur Zeit, zur Konfusion der Gegenwart. Auch erscheint sie wie ein Kommentar zur alles umfassenden Bilderflut der Medien. Im Akt der Bildherstellung wird dabei der Versuch erkennbar, durch einen subjektiven „stream of consciousness“ („Strom des Bewusstseins“) den Prozess von Konfusion und Neuorientierung, der heute stattfindet zu bezeichnen und sichtbar zu machen: Beim Malen geht all das, was sich malend darstellen lässt, zuerst durch das Auge, durch den Blick, das Hirn und die Gedanken, also das Bewusstsein der Künstlerin, die in gewisser Weise als eine Expertin, und damit stellvertretend für uns alle, mit ihrer Arbeit und ihren Werken die Frage nach der Wirklichkeit des Individuums aufwirft. Es scheint ein Individuum zu sein, das in der Gegenwart und in der Entwicklung von Globalisierung, Vernetzung und Destruktion seine Grenzen zunehmend als verfließend erlebt, also seine persön- lichen, physischen, psychischen und öffentliche Anteile oder Aspekte wie ineinander verschlungen, kaum noch deutlich von einander geschieden erlebt.

Katharina Wagner arbeitet in ihrer Malerei an der Weiterentwicklung der Kunst und ihrer Ideen. Dies geschieht im Sinne einer forschenden Tätigkeit, einer Bildforschung, die nach dem Verhältnis von technischem Bild, seiner psychischen Bedeutung für den Einzelnen und seiner Übersetzbarkeit ins Medium Malerei fragt. Auch in seiner subjektiven Qualität lässt sich Wagners Malerei von daher als Beitrag zur Aufklärung begreifen. Das Ergebnis ist eine überraschend vieldeutige, offene und übrigens auch schöne Malerei, die sich in großer Ernsthaftigkeit den Fragen unserer Zeit stellt.

Peter Funken